Theaterpädagoge Fabian Schrader im Gespräch mit Schulmediatorin Kerstin Lück vom Konflikthaus e.V. über das Trainieren von Konfliktverhalten, die Verantwortung von Erwachsenen und Schnick-Schnack-Schnuck als Lösungsansatz.
Ab dem 19. Januar 2023 heißt es im GRIPS Theater: „Zum Glück viel Geburtstag!“ Alle Infos zum Stück sowie Karten auf unserer GRIPS Homepage.
Streit und Konflikte gehören zum Alltag aller Menschen – auch bei dem der Kinder. Unterscheiden sich Konflikte unter Kindern von Konflikten zwischen Erwachsenen? In welche Konflikte geraten Kinder am meisten?
Alle Menschen haben Konflikte, weil sie zum Beispiel unterschiedliche Bedürfnisse haben. Die eine will toben, der andere will malen, das dritte Kind will lesen. Alles zusammen geht nicht. Bei Kindern krachen die Bedürfnisse ungefilterter aufeinander, weil sie erst gerade lernen, Bedürfnisse aufzuschieben oder Gefühle zu regulieren. Auch nicht alle Erwachsenen haben gelernt, zum Beispiel gut mit ihrer Wut umzugehen. Darin unterscheiden sie sich auch nicht von Kindern und kommen Anderen im Konflikt kindlich vor.
Kinder geraten in Konflikte, wenn sie sich Spiele ausdenken und die Spielregeln nicht aushandeln oder nicht ausreichend verständlich vermitteln können. Oder sie möchten gern exklusive Freundschaften mit nur einem Kind haben und gleichzeitig auch mit einer Gruppe befreundet sein. Da ringen Konflikte in ihnen, die auch beim Spiel zur Eskalation führen. „Heute ist sie meine beste Freundin und du darfst nicht mitspielen.“ Miteinander sprechen will gelernt sein, dazu gehört auch freundlich Grenzen setzen, Nein sagen, ein Nein akzeptieren. Aber auch andere Kinder wertschätzen für gute Ideen und Hilfsangebote. Wir streiten zu 80%, weil wir uns zu wenig gesehen und anerkannt fühlen. Das ist bei Kindern und Erwachsenen gleich. Dazugehören, etwas selbst machen und lernen dürfen ist für alle wichtig. Wenn dann noch jemand wertschätzt, wofür ein Kind sich einsetzt, ist das großartig. Kinder lernen mehr von Lob als von Kritik.
Wie können Kinder darin gestärkt werden, ihre Konflikte selbst – also ohne Hilfe von Erwachsenen – zu bearbeiten? Was haben die Kinder davon?
Manche üben das Erklären und Verhandeln und über Gefühle reden in der Familie, manche nicht. Deswegen ist es wichtig, diese Fähigkeiten in der Kita und der Schule ausreichend zu üben. Zum Beispiel im Klassenrat, der sogar seit 2022 im Berliner Schulgesetz als verpflichtend für alle Klassen steht (§84a). Im Klassenrat können Kinder alle Rollen üben, die sie später brauchen. Es gibt die Rollen: Moderation, Coaching, Beobachtung, Zeitwache, Fotografie, Regelwache etc.
Auch in der Schülermediation können Kinder gewaltfrei Konflikte klären. Die Älteren helfen den Jüngeren, wenn sie in einer Schülermediation-AG gelernt haben, wie man das macht. Je älter die Kinder werden, desto weniger wollen sie Erwachsene in ihren Konflikten dabeihaben. Deswegen habe ich den Friedensteppich entwickelt, der Kinder und Teenies, die Möglichkeit gibt, selbständig die Konfliktklärung durchzuführen. Dabei werden sie durch die Schritte auf dem Teppich geleitet und gehen immer weiter aufeinander zu, um sich in der Mitte zu versöhnen. Das tut besonders gut nach einem Streit und die Kinder lieben es.
Bei welchen Konflikten unter Kindern sollten Erwachsene aber unbedingt beteiligt sein?
Wenn immer wieder dieselben Kinder nicht mitspielen dürfen und auch keine Freund*innen in der Klasse finden, tut das weh wie ein körperlicher Schmerz. Hier ist die Aufmerksamkeit von Erwachsenen gefragt, damit einmalige Ausgrenzung nicht zu Mobbing wird, und damit langanhaltende psychische Schäden für das Kind verursacht. Wichtig ist es, diese Kinder in einem vertraulichen Rahmen anzusprechen und nicht wegzusehen. Gerade während der Hofpause sollten Kinder Spielgefährten finden.
Alle gewaltförmig ausgetragenen Konflikte sollten von Erwachsenen gestoppt werden. Hier ist die Grenze zwischen Spaß und Ernst beim Toben nicht immer leicht zu erkennen. Sich daneben zu stellen und weiter zu beobachten, hilft den Kindern aber auch schon bei der Steuerung. Kinder kennen die Norm, dass man nicht schlagen darf, sehr gut, bekommen es aber im Einzelfall nicht immer hin. In den Schulen sind Senior Partner in School sehr hilfreich, die in allen Bundesländern den Streitenden ehrenamtlich Mediation anbieten. Sie geben keine Noten, sind aus der Großelterngeneration und schenken ihre Zeit, um den Kindern geduldig zuzuhören. Auf den Spielplätzen wünsche ich mir mehr Erwachsene, die die Kinder beobachten, statt aufs Handy zu schauen. Es ist doch spannend zu schauen, wie Kinder um Spielzeug streiten und sie bei einvernehmlichen Lösungen durch Fragen zu unterstützen. Ich frage gern: Was könntest Du (noch) machen, um das Auto bzw. die Schaufel zu bekommen? Ich gehe davon aus, dass Kinder schlau und kreativ sind, und manchmal nur einen kleinen Impuls brauchen.
Gibt es auch Mittel und Wege, um Konfliktverhalten frühzeitig zu trainieren, damit es nicht immer eskaliert?
Ja, im Sozialen Lernen in der Grundschule können Kinder spielerisch lernen, wie man am besten Freundschaften schließt, Spiele erfindet und Unterschiede aushält und Lösungen verhandelt. Auch in der Kita sollte schon geübt werden, über Gefühle zu sprechen und zu akzeptieren, dass es andere Gefühle und andere Wünsche gibt. Wichtig ist es, die sechs Grundgefühle zu kennen und die Frage, „Was brauchst Du, damit es dir wieder besser geht?“.
Im Sozialen Lernen ist es wichtig, dass alle – egal mit welcher Einschränkung – mitmachen können. Hier ist das Wort Einschränkung nicht durch Behinderung zu ersetzen, weil das mehr Kinder umfasst, z. B. aktuelle Verletzungen oder auch Unwohlsein. Die Klasse überlegt vorher, wie sie die Herausforderungen gemeinsam meistern könnte. Mitmachen ist auch in anderen Rollen hochgradig erlaubt. Zum Beispiel eignet sich die Übung „Flussüberquerung“ sowie andere Kooperationsübungen gut dazu, Teamfähigkeit in der Gruppe zu trainieren. Durch Zufallsgruppen können Kinder üben, mit egal wem gut zusammen zu spielen und Lösungen für Einschränkungen zu finden.
Was können Erwachsene vom Konfliktverhalten von Kindern vielleicht auch lernen?
Kinder sind super darin, zu losen, wenn sie zwei faire Lösungen sehen. Dann machen sie schnick, schnack, schnuck und die Lösung ist da. Erwachsenen fällt diese Entscheidungsmethode oft nicht mehr ein, und sie versuchen, die andere Seite durch Argumente zu überzeugen. Das verlierende Kind ist oft dann auch beim nächsten Mal dran. Dazu kommt, dass Kinder von Geburt an sehr hilfsbereit sind. Leider verlernen sie das im Laufe ihres Lebens oft wieder. Kinder in der Grundschule unterscheiden sich in ihrer Hilfsbereitschaft oft von den Älteren, die eher nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“, nicht mehr so freigiebig helfen. Trotzdem ist der Tausch von Hilfeleistungen immer besser, als wenn eine Seite sich auf Kosten von anderen durchsetzt.
Kooperation und Konkurrenz, Minderheit und Mehrheitssituationen sollten stärker zu Beginn von Schuljahren Thema von Projektwochen sein, weil diese Themen das Leben durchziehen und Demokratie begründen. Braucht eine Kita oder Schule hierzu Unterstützung kann sie sich gern an das Konflikthaus e. V. wenden.
Autorin: Kerstin Lück, Schulmediatorin und Ausbilderin für Trainer*innen zum Sozialen Lernen, Moderatorin des OKL-Online-Klassenrats und von Regeln für den Schüler*innen-Klassenchat, Autorin der Handreichung Schulmediation des Berliner Senats hrsg. von der Senatsverwaltung Bildung (kostenfreier Download)
Mehr Infos:
https://www.konflikthaus.de/