Daniel Wetzel von Rimini Protokoll im Gespräch
Zur Wiederaufnahme der Cloud-Performance „Bubble Jam“ am 5.1.23
Im Oktober 2019 haben wir die Premiere der Cloudperformance „Bubble Jam“ gemeinsam mit der Performancegruppe RIMINI PROTOKOLL gefeiert – damals ahnte noch keiner, dass wir wegen der Corona-Pandemie vier Monate später drei Jahre lang keine Vorstellung mehr anbieten können würden. Ab 5. Januar 2023 ist BUBBLE JAM nun auch wieder im Spielplan!
Um was geht es in BUBBLE JAM?
Wer ist am anderen Ende des Internets? Wie funktioniert ein Algorithmus? Wer oder was erteilt uns da Anweisungen? Und wer oder was ist hier »fake«?
BUBBLE JAM ist eine Spielplattform, mit dessen Server sich die Testspieler*innen über Smartphones verbinden, mit denen sie ausgestattet werden. Sie folgen dem Chat der andernorts befindlichen Entwickler*innen und beantworten ihre Anweisungen und Fragen hin zu einer perfekten Bubble-Jam-Runde: Worum soll es gehen? Um Alpträume? Freunde, die man nie gesehen hat? Fotos, die plötzlich auftauchen? Darum, was für ein »Typ« man ist? Oder darum, wie das Leben weitergeht? „Bubble Jam“ misst die Reaktionen und ermittelt daraus, wer mit wem was zu besprechen hat. Aus Abstimmungsergebnissen werden Fragen abgeleitet, um die es nun gehen soll, allen voran: Wer spielt? Und mit wem wird gespielt?
Rimini Protokoll zeigt am GRIPS mit BUBBLE JAM seine erste Produktion für Jugendliche, macht sie zu aktiven Teilnehmer*innen des Spiels und beleuchtet die Einflüsse des digitalen Raums auf unsere Entscheidungsprozesse. Die Produktion BUBBLE JAM ist im ständigen Wandel, Erfahrungen mit dem jugendlichen Publikum werden beständig aufgenommen und das Script entsprechend geändert. „Prinzipiell lernt „Bubble Jam“ von den Usern und entwickelt sich entsprechend weiter“, beschreibt Daniel Wetzel diesen Prozess.
Daniel Wetzel (RIMINI PROTOKOLL) im Gespräch:
Zu unserer gemeinsamen Berliner Premiere im Oktober 2019 haben wir Daniel Wetzel von Rimini Protokoll näher befragt:
GRIPS: Mit »Bubble Jam« hat die Performancegruppe RIMINI PROTOKOLL erstmals eine Produktion für Jugendliche entwickelt. Wie kam es dazu?
Meine Tochter bekam vor zwei Jahren ihr erstes Smartphone. Zum Telefonieren. Die Funktion war eigentlich der Anlass, wurde aber schnell Nebensache. Online zu sein ist für viele eine so normale Sache wie fließend Wasser, Strom und Heizung. Aber in den eigenen Händen auf einem eigenen Gerät, das war etwas Neues. Noch am selben Abend begann sie, mit Leuten in Kontakt zu treten, die sie sonst nur selten sieht. Bilder wurden ausgetauscht, man konnte sehen, ob sie »aktiv« sind und die Nachrichten empfangen. Da kamen Fragen auf. Kann noch jemand sehen, was wir austauschen? Kann man gesehen werden, ohne, dass man’s weiß?
GRIPS: Du lässt Smartphones an das Publikum verteilen und forderst die Zuschauer*-innen dazu auf, mitzuspielen. Ist »Bubble Jam« ein Theaterstück oder ein Online-Game?
Keine*r sitzt im Zuschauerraum. Statt Schauspieler*innen zuzuschauen, machen alle das, was sie sonst auch oft tun: Sie schauen auf ihre Smartphones. Diesmal auf der Spielfläche, auf der »Bubble Jam« gespielt wird. Es wird vorangetrieben durch Spielleiter, die gar nicht im Raum sind, sondern Nachrichten schicken, Ergebnisse auswerten, Reaktionen messen, Daten sammeln – was halt so passiert, wenn man ein Smartphone hat, ohne dass man’s weiß – oder besser: wissen will. Es geht um Algorithmen und darum, was wir über uns als Gruppe erfahren können, wenn wir in einer solchen Cloud vernetzt sind. Es geht um die »Blasen« (Bubbles), in denen wir uns bewegen. Und wie bei einem Musik-Jam wird damit gespielt. Und das macht Spaß. Aber es kommen auch Fragen auf.
GRIPS: Die Uraufführung war am 24.11.2017 in Athen im Onassis Cultural Centre, entstanden nach den Erfahrungen der Konzeption von „STAAT3“*. In welchen Städten gab es Adaptionen? Welche sind wo noch geplant?
Ich habe diesen Sommer eine deutsche Fassung für das Figurentheaterfestival in Nürnberg eingerichtet, da lief Bubble Jam vom 21.05. – 04.06.2019. Da Übersetzungen meistens weh tun, habe ich den Text gleich weiter bearbeitet. Ich lerne ständig hinzu, will Neues ausprobieren und weiterentwickeln. Ich glaube auch, dass das Stück eine beobachtende Begleitung braucht, die durch Variationen am Ball und wach bleibt.
GRIPS: Wieso macht ihr eigentlich Adaptionen? Und wie unterscheiden sich die bis jetzt? Du hast den Text von der griechischen Fassung auf die Berliner Jugendliche angepasst – was war resp. ist anders?
Siehe meine Antwort von eben! Prinzipiell lernt „Bubble Jam“ von den Usern und entwickelt sich entsprechend weiter. Für Berlin allerdings gibt es einen speziellen Schritt: Wir wollten der Ästhetik des GRIPS Theaters, die schauspielgebunden ist, eine Referenz erweisen, und so darf jeweils ein*e Schauspieler*in die jeweilige Spielrunde einführen und begleiten. Das wirkt sich auf den gesamten Text aus.
Ich habe zuvor beim Festival in Nürnberg, aber auch bei Workshops in Norwegen, wo das Stück 2020 koproduziert wird, viel gelernt. V.a. aber auch, dass es weniger kulturspezifische Unterschiede gibt hinsichtlich Fragen, die hier und da mehr oder weniger relevant wären, sondern v.a. erstaunlich bis erschreckend große Unterschiede innerhalb der Städte.
Ansonsten gab mir das GRIPS die Möglichkeit, das Stück inhaltlich zu überarbeiten anhand von Workshops mit Schulklassen und seiner formidablen theaterpädagogischen Erfahrung. So kam’s zur Berliner Fassung mit einem neuen Ende, die ich dann bei weiteren Gastspielen – geplant sind Aufführungen in Indien, Myanmar und Norwegen – weiterentwickeln werde.
Speziell in Myanmar, wo online zu sein ganz anders konnotiert ist, wo es viel weniger kritische Öffentlichkeit gibt, und insbesondere Facebook eine extrem fatale Rolle im Zusammenhang mit den genozidalen Attacken gegenüber der muslimischen Bevölkerung spielt, wird das Spiel wieder andere Fragen stellen.
GRIPS: Was macht dir im Netz am meisten Spaß? Was ängstigt dich?
Warte mal, was mache ich eigentlich ohne Netz? Gerade sprechen wir ja auch nicht, sondern ich schreibe in ein Online-Dokument. Weil’s praktischer ist. Ich genieße alles viel mehr, was im selben Raum stattfindet. Deshalb gibt es auch dieses Stück.
Die Fragen stellten Ute Volknant (Dramaturgie GRIPS) und Anja Kraus (PR im GRIPS), das Interview ist selbstverständlich zum Abdruck honorarfrei.
RIMINI PROTOKOLL ist eine der wichtigsten Performance-Gruppen in Deutschland. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel bilden seit 2000 ein Autoren-Regie-Team. Ihre Arbeiten im Bereich Theater, Hörspiel, Film und Installation entstehen oft in Zweier- und Dreierkonstellationen. Sie entwickeln in umfangreichen Recherche-, Casting- und Konzeptionsprozessen auf der Bühne sowie im Stadtraum ihr Theater, das Experten des Alltags ins Zentrum stellt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mittel des Theaters, um ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen.
Informationen, Termine, Kartenbuchung und die aktuelle Besetzung von BUBBLE JAM gibt es auf unserer Website!