Mitbestimmung am GRIPS Theater #1

Eine Blog-Reihe von Maryam Rosenboom (FSJ Kultur 2020/21)

Am GRIPS Theater werden zentrale künstlerische Entscheidungen von Vertreter*innen verschiedener Abteilungen am Haus getroffen.
Aber wie kann ein Theater basisdemokratisch aufgebaut sein? Wie funktioniert das Mitbestimmungsmodell am GRIPS Theater und wie hat es sich seit seiner Gründung weiterentwickelt?

In dieser Blog-Reihe wird das Thema Mitbestimmung am GRIPS Theater aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Über die Entwicklung des „Gremiums“ – Tom Keller im Gespräch, Teil 1

An meinem ersten Tag im FSJ-Kultur gehe ich die Treppen des mysteriösen Glaskastens im Foyer des Berliner GRIPS Theaters hoch. All die Jahre fragen wir uns als Schulkinder, was es dort oben wohl Spannendes gibt.
Leider sind es, weniger spannend, nur Büros – und zwar wider Erwarten viele. 
Es ist der erste Schritt, den ich jemals hinter die Kulissen eines Theaters mache, und ich frage mich ehrlicherweise, wofür all diese Menschen wohl zuständig sind. 
In einem Büro sitzen zwei Mitarbeiter*innen. Sie unterhalten sich ausgelassen und lachen. Sie wirken entspannt. Umso überraschter bin ich, als sich mir einer der beiden als Theaterleiter Philipp Harpain vorstellt. 
Ungewöhnlich denke ich. Bisher kenne ich Theater nur im bekanntlichen Sinne.
Es gibt Intendant*innen, die Entscheidungen treffen, klare Hierarchien und reformbedürftige Strukturen. Von dieser Debatte habe ich schon gehört. Aber hier scheint das irgendwie anders zu sein. 
Ich erfahre von einem Gremium. Dem Besetzungs– und Einstellungsgremium, in welchem zentrale künstlerische Entscheidungen von Vertreter*innen verschiedener Abteilungen am Haus getroffen werden.
Mitarbeitende haben also die Möglichkeit mitzubestimmen – über die Zukunft des Hauses und damit über ihre eigene.

In einem Jahr, in dem ich wegen der Corona-Pandemie vom üblichen Theaterbetrieb wenig mitbekomme, beginnt hier mein Versuch die Strukturen am GRIPS Theater und sein Mitbestimmungsmodell besser kennenzulernen und zu verstehen. 
Denn Mitbestimmung spielt im GRIPS schon seit seiner Gründung 1969 eine große Rolle und es entsteht der Wunsch, damit auch dem GRIPS als solches ein wenig näher zu kommen.

GRIPS-Geschichte: Anfänge der Demokratie 1976 © Frank Roland-Beeneken / GRIPS Theater

Glücklicherweise sind gefühlt die Hälfte aller Mitarbeitenden schon länger am GRIPS Theater als ich auf der Welt, und haben somit die Entwicklung des Hauses und seines Gremiums mitverfolgen können.
Darunter auch Thomas Keller

Tom ist 1986 zur Premiere von Linie 1 als Saxofonist ans Haus gekommen, seit sechs Jahren ist er außerdem Musikdramaturg.
2011 wird er selbst Mitglied im Gremium, und ein Jahr später auch in den Betriebsrat des GRIPS Theaters gewählt.
Tom erzählt, dass er das Gremium zu seiner Anfangszeit gar nicht mitbekam. Was er vor allem damit begründet, dass es damals gar nicht so viel zu entscheiden gab. Auf dem Spielplan standen Linie 1 und darüber hinaus meist noch ein Kinder- oder Jugendstück.

 „Das Gremium von damals ist überhaupt nicht zu vergleichen mit der Rolle, die es heute spielt.“

Es wird zwar das Fachwissen von Musiker*innen und Co. in das Gremium getragen, doch sie haben keinen Sitz oder eine Stimme.
2011 versucht Tom über den damaligen Betriebsrat für Musiker*innen einen Sitz im Gremium zu erlangen. Und wird anschließend als Vertreter für die Abteilung Musik Mitglied. Doch das Gremium ist noch lange nicht so demokratisch wie es heute ist.
Während der künstlerischen Leitung durch Stefan Fischer-Fels von 2011 bis 2016 hatten Musiker*innen zwar einen Sitz im Gremium, stimmberechtigt ist ihr Vertreter Tom da aber noch nicht. In den Raum gebeten wird er nur, wenn es um musikalische Punkte geht. „Ich habe dann teilweise eine halbe Stunde vor der Tür gewartet, während andere Dinge besprochen wurden. Wenn es zu den entscheidenden musikalischen Punkten ging, wurde ich hereingelassen und konnte dann dazu meine Meinung abgeben. Da kann man mal sehen, wie weit und lang der Weg zu einer umfassenden Demokratisierung sein kann.“

Mit der Übergabe der Gesamtleitung an Philipp Harpain zur Spielzeit 2017/18 ist diesem die Ausrichtung des Gremiums hin zu mehr Demokratie ein wichtiges Anliegen. 
Unter Philipp wird das Gremium breiter aufgestellt und mit mehr Befugnissen und Kompetenzen ausgestattet.
Heute besteht das Gremium aus 12 Mitgliedern. Sechs von ihnen sind gewählte Vertreter*innen aus den Bereichen Schauspiel (4 Vertreter*innen), Musik (1 Vertreter*in) und den Gewerken (1 Vertreter*in). 
5 weitere stimmberechtigte Mitarbeiter*innen werden von der Theaterleitung aus den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Theaterpädagogik, Geschäftsleitung, Dramaturgie und dem Künstlerischen Betriebsbüro ernannt. Den 12. Sitz hat die Leitung.

Diese 12 Menschen kommen monatlich zusammen, um gemeinsam über die Auswahl neuer Stücke, die Besetzung der Produktionsteams sowie über Neueinstellungen im künstlerischen Bereich zu sprechen, zu diskutieren, abzustimmen und zu entscheiden.

Der Begriff entscheiden stimme in diesem Fall nicht ganz, meint Tom. 
„Im Grunde ist es kein Entscheidungsgremium, sondern ein Mitbestimmungsgremium.  Es hat die Aufgabe zur Meinungsfindung beizutragen. Doch die letztendliche Verantwortung für die Entscheidungen trägt die Theaterleitung und die Geschäftsführung. Es ist ein Mitbestimmungsorgan, aber kein Entscheidungsorgan.“