Spannendes aus der Welt der Podcasts: Interview mit unserem Kollegen und Podcaster Fabian Schrader
Nachdem unsere Schauspielenden Helena Charlotte Sigal und Marcel Herrnsdorf das Podcasten für sich und für das GRIPS so für uns alle bereichernd entdeckt und seit Dezember schon eine richtige Fan-Base dafür gewonnen haben, sind auch wir im GRIPS tiefer in die Podcast-Welt eingestiegen und haben entdeckt: Auch andere Kolleg*innen aus dem GRIPS können Podcast. Und das auch richtig richtig gut.
Vorhang auf für
Der Interviewpodcast über queeres Leben auf dem Land von Fabian Schrader
„Als schwuler Junge in einem (ostdeutschen) Dorf groß zu werden, war nicht immer ganz so easy für mich. Homosexualität und queeres Leben kannte ich fast nur aus dem Fernsehen, es war für mich immer was Abstraktes, Fernes. Etwas, was es vor Ort nicht gab, und was ich somit nicht sein konnte. Aber queeres Leben ist auch jenseits der großen Städte existent und vielfältig. Dazu gehören mitunter auch schwierige Zeiten, aber auch jede Menge Engagement vor Ort, und Menschen, die sich solidarisch zeigen und für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einstehen. In „Somewhere Over The Hay Bale“ interviewe ich Menschen, die im ländlichen Raum leben oder in einem Dorf/in einer Kleinstadt groß geworden sind. Ich richte so mehr Licht auf ihre Lebensrealitäten und -entwürfe, Erfahrungen, ihr Engagement und ihre Vorstellungen von community. Für alle queeren Menschen, die in Dörfern und Kleinstädten aufwachsen und wohnen – es gibt uns. Wir sind vor Ort.“ Eine neue Folge immer am 15. eines Monats. Überall, wo es Podcasts gibt | Facebook | Instagram
GRIPS: Lieber Fabian, neben dem, dass du bei uns im GRIPS als Theaterpädagoge spannende Projekte machst, bist du auch seit einem Jahr privat als Podcaster unterwegs: Am 15. März 2021 hatte dein Podcast SOMEWHERE OVER THE HAYBALE sein einjähriges Jubiläum, 15 Folgen gab es bis jetzt. Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, eine Podcast zu starten, und auch auf das Thema?
Fabian Schrader: Ich bin selbst in einem ostdeutschen Dorf groß geworden und hab – rückblickend betrachtet – schon in meiner Jugend gewusst, dass ich homosexuell bin. Mich zu outen und somit zu mir selbst zu stehen, kam mir damals aber nie in den Sinn. Das hat sich nicht richtig angefühlt und vor allem: Das hat sich nicht sicher angefühlt. Zum einen haben mir konkrete Bezugspersonen gefehlt, die mir vorleben: Queersein und auf dem Land zu leben muss nicht in Drama enden, und muss sich nicht per se ausschließen. Homosexualität und queere Lebensrealitäten kannte ich nur aus dem Fernsehen – zu abstrakt und weit weg, als dass ich auch Teil dieser Lebenswelt sein könnte. Deshalb habe ich lange die Füße stillgehalten und erst außerhalb meiner Heimat zu mir gefunden.
Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich mit dieser Zeit und mache eigene Biografiearbeit, um zu verstehen, warum Queersein und auf dem Land leben oft als unvereinbar wahrgenommen wird. Daraus einen Podcast zu machen, kam mir als Idee 2019, als Spotify das Förderprogramm „Sound Up! für LGBTIQ-Podcaster*innen“ ins Leben rief, an dem ich teilnahm. Da dachte ich: Das ist es, das ist das Format, womit ich Leute erreichen, Dinge verstehen und Identifikationspersonen jenseits der großen städtischen Repräsentation ins Licht rücken kann.
GRIPS: Hast du direkt einfach angefangen, die Interviews aufzunehmen und dann dich erst mit der Technik und Verbreitung beschäftigt? Oder empfiehlst du, vorher dich schon damit zu beschäftigen?
Fabian Schrader: Podcasts zu machen ist keine Zauberkunst, sobald man die Basics verstanden hat. Es ist gut, sich vorher damit zu beschäftigen. Ich habe in dem Förderprogramm dankenswerterweise sehr fundiert gelernt, wie podcasten funktioniert – der Rest war dann learning by doing und „Ich mach das jetzt einfach mal!“. Das Schöne an Podcasts ist ja, dass sie grundsätzlich ein recht demokratisches Medium sind, die mit wenig Aufwand zu Diskursen und Debatten beitragen können. Ich habe mich dann frisch ans Werk gemacht, Menschen recherchiert und angeschrieben, im Freund*innenkreis gefragt und gehofft, dass mir viel Vertrauen entgegengestreckt wird. Was auch geschehen ist, worüber ich mich bis heute sehr freue. Ohne Support in der Anfangsphase wäre alles schwierig geworden – vor allem, da mein Podcast-Geburtstag nach sechs Monaten Vorbereitung auf das erste Lockdown-Wochenende fiel. Puh, da hatte ich schon Angst, dass das gesamte Projekt zum Scheitern verurteilt ist.
GRIPS: Wie viel Zeit brauchst du für die Bearbeitung der Gespräche, auf was achtest du da?
Fabian Schrader: Alles in allem stecken in jeder Folge um die 15 – 20 Arbeitsstunden, wenn ich von Akquise bis zur Verbreitung denke. Im eigentlichen Schneiden bin ich mittlerweile schneller geworden: Das liegt daran, dass sich meine Fähigkeiten weiter entwickelt haben (und ich hatte einen Mordsrespekt vor der Nachbearbeitung), und daran, dass zusammen mit meinen Gäst*innen auch meine Interview-Skills besser geworden sind. Das macht es einfacher und ich freue mich da sehr drüber. Ich achte darauf, dass bei meinen Gästen keine thematischen roten Linien überschritten werden, ich bin oft im regen Austausch mit meinen Interviewten und weise sie darauf hin, dass sie sich vorher überlegen sollen, welche Themen sie nicht besprechen wollen, und auch, ob und wie sie über andere Menschen reden. Sollte doch mal was beim Interview sich nicht richtig anfühlen, lösche ich den entsprechenden Teil und das ohne Diskussion. Da ich die Vorsicht, Sachen von sich preiszugeben, sehr gut zu kenne, ist mir die Solidarität dieses Projekts mit den Interviewten das höchste Gut. Mir ist es wichtig, dass ihre Geschichte so in der Welt steht, wie sie sich damit wohl fühlen.
GRIPS: Bereitest du in Vorgesprächen die Interviews mit den Partner*innen vor? Falls ja, wie?
Fabian Schrader: Alle meine Gäst*innen kriegen von mir vorab ein Kurzkonzept zum Podcast, dann vereinbare ich ein Vorgespräch mit ihnen, um die thematische Ausrichtung des Interviews besprechen und rote Linien abklären zu können. Ich recherchiere außerdem zu den jeweiligen Orten, um einen Einblick in das lokale Leben zu kriegen und befrage die Gäste dazu, auch zu Fun Facts (und daran mangelt es nicht). Dann vereinbare ich einen Termin mit den Menschen und fahre – so es die aktuelle Corona-Lage zulässt und unter Einhaltung aller Hygienerichtlinien – im besten Fall zu den Leuten in den Ort.
GRIPS: Wie suchst du deine Interviewpartner*innen aus? Was sind deine Kriterien – queer und Aufwachsen aufm Land?
Fabian Schrader: Schönerweise melden sich mittlerweile Hörer*innen bei mir und wollen ihre Geschichte mit mir teilen – das ehrt mich und freut mich sehr. Meine Kriterien sind: Queer (in einer Form), aufgewachsen oder aktuell lebend in einer Gemeinde mit weniger als 50.000 Einwohner*innen; fast immer zählen die Orte weit weniger Menschen. Ich habe auch bei Recherchen viele spannende Menschen gefunden, die auf dem Land leben: Menschen in queeren ländlichen Wohnprojekten, der erste offen schwule Weinkönig in Rheinland-Pfalz, Menschen die zum ersten Mal einen CSD in ihrem Dorf organisieren und und und… da gibt es noch viele Geschichten zu entdecken!
GRIPS: Was ist dein Resümee nach einem Jahr? Wie geht es dir mit allen diesen Gesprächen und unterschiedlichen Leben?
Fabian Schrader: Queeres Leben ist auch außerhalb der Städte existent und vielfältig und oft mehr als das vermutete Versteckspiel. Und gleichzeitig sind Dörfer oft kein Hinterland, in dem die Zeit stehengeblieben ist. Viele queere Menschen sind lokal verwurzelt, engagieren sich in ihren Gemeinschaften (auch ohne queeren Bezug) und schaffen darüber oft hinaus auch sichere Räume für Coming Outs und Identifikationen. Klar zählen auch schwierige Zeiten mit dazu, aber auch vor Ort gibt es Menschen, die Schulterschlüsse suchen, Support leisten und für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einstehen. Das finde ich sehr berührend und inspirierend. Besonders spannend finde ich, dass queere Menschen mitunter die Strukturen und Freiheiten im ländlichen Raum finden können, die sie in der Stadt nicht finden: Den Zusammenhalt vor Ort, das Gefühl, weniger Schaulaufen zu müssen und ganz unkompliziert ein Leben am Meer oder am Wald führen zu können. Ich will damit nicht sagen, dass es keinen Zusammenhalt in der Stadt gibt, ganz im Gegenteil. Aber nicht für jeden Menschen ist die Stadt ein Ort, um sich frei entfalten und wirken zu können. Mir helfen all die Gespräche, meinen Blick auf ländliche Strukturen und queeres Leben darin zu schärfen, und eine Sprachlichkeit für Gedanken und Gefühle zu entwickeln, die auch ich mit mir rumtrage. Auch politische Perspektiven und Forderungen schärfen sich dadurch, die ich gern in Gesprächen teile, wenn ich selbst irgendwo zu Gast bin. Und es inspiriert mich dazu darüber nachzudenken, irgendwann vielleicht selbst wieder aufs Land zu ziehen. Vielleicht.
GRIPS: Was ich sehr an deinem Podcast schätze, ist, dass du dich auch von den Geschichten sehr berühren lässt und das auch zugibst. Magst du verraten, welche Momente dich besonders mitnehmen?
Fabian Schrader: Ich liebe in der Theaterarbeit wie auch beim Podcast die Momente, in denen Menschen sich verletzlich zeigen und dadurch unfassbare Stärke gewinnen. Mit Momenten des Ausgegrenzt-Seins, der Einsamkeit und doch einem hoffnungsvollen Weitermachen und sich die Räume zu erschließen, die Menschen brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen – all das geht mir wirklich nahe. Vor allem, wenn die Alternativen mitunter mau sind, weil die Orte klein und Strukturen nicht vorhanden sind. Und besonders die Momente, in denen Menschen nach einem Coming Out Support und Liebe bekommen, auch wenn ich es manchmal nicht vermute (und da sehr viel lerne), wie z.B. von einer lokalen Feuerwehr oder der örtlichen Pfarrerin.
GRIPS: Was wünschst du dir für deine Hörer*innen, möchtest du etwas mit deinem Podcast erreichen?
Fabian Schrader: Ich möchte mit dem Podcast die Identifikationspunkte schaffen und die Biografien sichtbar machen, die ich in meiner Dorfzeit gebraucht hätte, damit sich Menschen nicht wie die einzige queere Person im Landkreis fühlen. Spoiler Alert: Das sind sie nämlich ziemlich sicher nicht. Ich möchte ihnen Mut machen, sich Personen, Gruppen und Institutionen zu suchen, die sie unterstützen. Und ich möchte einen Teil von LGBT-Lebensrealitäten beleuchten, der oft vergessen, unter- oder zum Teil auch missrepräsentiert wird.
GRIPS: Wie bist du eigentlich auf diesen wunderbaren Titel „Somewhere Over The Hay Bale“ gekommen?
Fabian Schrader: Ursprünglich sollte der Podcast Queerfeldein heißen, aber so heißt schon ein Sportverein und ich wollte gern einen noch nicht besetzten Namen – und ich wollte nicht schon wieder ein Queer-Quer-Wortspiel an den Start bringen. Einmal habe ich meine Podcastidee auf Englisch präsentiert und da kam mir der Name als Wortspiel zugeflogen. Die Nähe zu Judy Garland (als eine der frühen Schwulenikonen), die als Dorothy in „Der Zauberer von OZ“ durch einen Wirbelsturm fortgetragen wird, hat mir sehr gefallen. Und ähnlich wie bei Dorothy ist es auch bei mir, als sie zu ihrem Hund sagt: „Toto, I think we’re not in Kansas anymore“.
GRIPS: Verdienst du damit eigentlich Geld?
Fabian Schrader: Nein. Somewhere Over The Hay Bale ist mir ein politisches und persönliches Herzensprojekt und ich will es gerade nicht monetarisieren.
GRIPS: Können wir auch diesen Beitrag dazu nutzen, dass sich Interessierte bei dir melden können?
Fabian Schrader: Auf jeden Fall gern. Ihr erreicht mich bei Instagram und facebook unter @somewhereoverthehaybale und per Mail unter somewhere-podcast[at]posteo.de. Gern auch, wenn ihr es nicht eilig habt – zwischen Erstkontakt und Interview vergehen oft zwei-vier Monate, da der Podcast neben meiner Erwerbstätigkeit entsteht 😉
Die Fragen stellte Anja Kraus (Öffentlichkeitsarbeit im GRIPS | Presse und SocialMedia)
[…] Seit 2019 betreibt er außerdem den Podcast „Somewhere Over The Haybale“ über queeres Leben auf dem Land. Mehr hierzu auch in unserem Blogbeitrag. […]