Mohammad Saleh macht gerade ein Freiwilliges Kulturelles Jahr am GRIPS Theater. Im Jahr 2000 wurde er in Damaskus geboren, seit 2015 lebt er in Berlin. Angeregt von dem Stück „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ interviewte er fünf Freunde zu ihren Gedanken und Erfahrungen im und mit dem Krieg, und erzählt auch von seinen eigenen Erfahrungen.
Im neuen Stück von Zoran Drvenkar „KAI ZIEHT IN DEN KRIEG UND KOMMT MIT OPA ZURÜCK“ versucht der elfjährige Kai seinen Opa vor dem Vergessen zu retten und zieht mit ihm nochmal in den Krieg. Nur so, glaubt er, wird sich Opa wieder an seine damaligen Heldentaten erinnern. Kai startet diese Reise in Opas Vergangenheit mit großer Abenteuerlust und Faszination für dessen idealisierte Kriegsgeschichten. Doch am Ende sind zwei große Lügen entlarvt – die der ruhmreichen Schlacht und die des Heldentums.
So wie Kai geht es vielen Kindern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie kennen persönliche Geschichten von Krieg eventuell durch Familienerzählungen, aber es sind Kriegserfahrungen, die meist schon Generationen zurückliegen. Anders verhält es sich bei Kindern, die z.B. vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind, so wie auch bei Mohammad Saleh. Er ist wie „Kai“ im Stück elf Jahre alt, als in seinem Heimatland Syrien der Krieg ausbricht. Er kennt idealisierte Kriegsgeschichten und Träume von Heldentum aus eigener Erfahrung.
Im Herbst 2020 hat er die Proben von „Kai zieht in den Krieg und kehrt mit Opa zurück“ begleitet. Bei den Recherchen zum Stück flossen seine persönlichen Erfahrungen mit in die Produktion ein, und er hat fünf seiner Freunde zu ihren Erfahrungen im und mit dem Krieg interviewt.
Mohammad Saleh:
„Ich war 11 Jahre alt, als der syrische Krieg 2011 ausbrach. Für mich war das die Chance meines Lebens, ein Held zu sein. Doch um offiziell an die Front zu kommen, muss man mindestens 14 Jahre alt sein. Ich sagte mir damals: Drei Jahre werde ich aushalten! Ich werde mir noch viel mehr Geschichten erzählen lassen, um daraus zu lernen. Ich werde erfahrener an die Front ziehen und siegen!
Heute bin ich sehr dankbar, dass ich drei Jahre Zeit hatte, das Versteckte hinter dem Wort Krieg zu erleben. Hunger, nächtelang durch Bombengeräusche nicht schlafen, kein Strom und kein Wasser.
Ich wurde mit ganz vielen Ängsten 14 Jahre alt. 2015, nachdem ein Cousin gestorben war, ein Onkel sein Bein verloren hatte und nachdem viele Freunde sich fürs Kämpfen entschieden haben, entschied ich mich, mein Land zu verlassen.
Ich wollte weg von allem. Vor allem weg von der größten Lüge, an die so viele Menschen blind und taub glauben. Die Lüge, sie allein hätten Recht. Die Lüge, sie hätten das Recht, andere zu töten. Es gibt aber auch viele Menschen, die sich davon nicht überzeugen lassen.
Mohammads Freunde, alle Kriegskinder im Alter zwischen 18 und 22 Jahren:
Was für ein Bild hattest Du vom Krieg, bevor er angefangen hat?
A) Ich bin mit dem Krieg aufgewachsen und habe es nicht anders gekannt.
B) Als ich ein Kind war, hatte ich eine Vorstellung vom Krieg durch Kindersendungen und Nachrichten. Aber nachdem es passiert ist, wurden meine Gedanken über den Krieg anders. Wir haben den Krieg natürlich nicht erwartet.
C) Wir als Gesellschaft hatten ein gutes Bild über den Krieg. Ich dachte, er bringe uns in vielen Situationen weiter. Zum Beispiel habe ich als Palästinenser nicht in meinem Land leben dürfen. Aber ich habe erfahren, dass der Krieg vielen das Leben nimmt und Leute zum Flüchten bringt. Es entsteht ein Chaos, welches die Politiker ausnutzen, um ihre Macht zu verstärken. Jetzt weiß ich, dass Krieg viele Seiten hat. Zum Beispiel finanzielle, wirtschaftliche und psychische. Früher ging es um Boden, jetzt um viele andere Dinge.
D) Als Kind stand ich auf Action, ich dachte Krieg macht Spaß und wollte mitmachen. Unsere Vorfahren haben uns Kindern nur Heldengeschichten vom Krieg und der Armee erzählt. Ich hatte große Lust, ihnen zu zeigen, dass ich es auch kann.
E) Als Kind fand ich kämpfen unglaublich cool. Aber als der Krieg dann nach Syrien kam, wurde es schnell unübersichtlich. Man wusste nicht, gegen wen zu kämpfen ist.
Wie fühlst du dich, wenn in den Medien Krieg zu sehen ist? Wie, wenn Lügen über den Krieg gezeigt werden?
A) Ich fühle mich schlecht, wenn ich Krieg sehe, weil ich mich an schreckliche Sachen erinnere und schlechte Zeiten. Die Medien haben zwei Wahrheiten. Die Wahrheit an sich und die gelogene Wahrheit von den Politiker*innen.
B) Der Krieg hat verschiedene Seiten. Er kann harmlos sein aber auch brutal. Aber wir sind uns einig, dass im Krieg die Mehrheit leidet. Natürlich, wenn ich Krieg in den Medien sehe, fühle ich mich erdrückt, sauer und leide mit, weil ich es erlebt habe. Ich bin auf Kriegslügen sauer, weil die Medien die große Aufgabe haben, die Wahrheit zu übermitteln. Was mich noch ärgert ist, dass die Medien von solchen gefälschten Nachrichten profitieren.
C) Die Medien bestehen aus Lügen und Übertreibungen, die die Menschen um den Verstand bringen. Medien wollen die Menschen in ihre Richtung richten. Ich sehe es als großes politische Spiel. Leider vertrauen viele Menschen den Medien, während sie ausgenutzt werden. Medien sind eine Säule der Politik.
D) Wenn ich Krieg in den Medien sehe, habe ich oft Mitleid. Aber gleichzeitig ist Tod ist für mich nicht mehr so schlimm. Durch all die Leichen und das Leid, was ich gesehen habe, ist er alltäglich geworden.
E) Die Medien geben kein richtiges Bild über den Krieg. Ich finde es schade, weil die Leute es blind folgen.
Wie hat der Krieg etwas in deiner Persönlichkeit gelassen, was dich beim Schlafen, Essen und Umgang mit Menschen beeinflusst? Hast du Hilfe bekommen? Wie? Von Wem?
A) Ich habe keinen Krieg in Gedanken, weil ich damit aufgewachsen bin.
B) Der Krieg hat mich mehr positiv als negativ beeinflusst. Hier hat sich mein Alltag verändert und ich bin dankbar dafür, was ich habe. Kriegsopfer können kein friedliches Leben führen. Letztendlich bin ich ein Mensch, ich habe Ziele in meinem Leben, die ich gerne erreichen würde.
C) Psychische Schaden sind stärker und gefährlicher als körperliche. Persönlich habe ich mehr psychische Schäden als körperliche. Ich habe andere Ängste entdeckt. Angst, dass ich irgendwann meine Kinder oder Menschen, die ich liebe, beschützen muss und es nicht kann. Die Kinder könnten sich für die falsche Seite entscheiden. Und ich habe Angst vor dem, was sich in der Zukunft versteckt. Zugleich habe ich viel Hilfe von Freunden bekommen.
D) Nein für mich hat das keine Folgen gehabt. Ich bin mit dem Leid aufgewachsen. Aber ich habe viele enge Menschen gesehen, die unter psychischen Problemen gelitten haben.
E) Krieg hat mich dazu gebracht, die Leute billig zu sehen.
Denkst du, es ist eine Aufklärung über Krieg in Friedensländern erforderlich? Wenn Ja, warum sollte diese Grausamkeit nicht versteckt bleiben?
A) Ich halte es für wichtig, dass wir über den Krieg erzählen. Vor allem in den Ländern, wo Frieden herrscht. Diese Friedensmenschen müssen Mitgefühl erst lernen und wirklich verstehen, dass alle Menschen gleich sind. Durch uns können sie lernen ihren Wohlstand mehr zu respektieren.
B) Ich bin der Meinung, dass alle Menschen, die ein friedliches Leben führen, über die Grausamkeit eines Krieges erfahren müssen. Ich sehe hier, vor allem in Deutschland, dass viele ihr Leben nicht wertschätzen.
C) Kriegserfahrungen dürfen nicht versteckt werden. Menschen müssen Angst vor Krieg haben, damit sie sich davor schützen und frühzeitig Probleme anders angehen.
D) Klar muss das sein. Viele kennen unser Leid nicht.
E) Ich will kein Mitgefühl, das mich runterzieht. Ich will, dass Menschen mehr Ahnung haben und richtig handeln können.
[…] „Vom Traum, ein Held zu sein„Erinnerungen an den Krieg in Syrien von Mohammad Saleh und seinen Freunden […]